Von Hans Suter (Architekt und Gründer der Giesserei / Berater Vorstand SEWO Bodensee), Ingrid Schmidt
Die WOGENO-Familie
1981 wurde die WOGENO Zürich gegründet (www.wogeno-zuerich.ch), die erste Genossenschaft für selbstbestimmtes Wohnen in der Schweiz. Die Initianten verfolgten das Ziel, selbstverwaltetes Wohnen zu sozial verträglichen Preisen zu ermöglichen.
Dafür definierten sie ein Organisationsprinzip, das bis heute in der Schweiz bereits mehrfach erfolgreich umgesetzt wurde. Es basiert darauf, dass die Genossenschaft den staatlich anerkannten rechtlichen Rahmen bietet und die Instanz für die Finanzierung und Bauherrenschaft bei Bau- bzw. Sanierungsaktivitäten darstellt.
Unter diesem Dach schliesst sich die Mietergemeinschaft eines jeden Hauses oder einer Siedlung zu einem Hausverein (einer Hausgemeinschaft) zusammen. Der Hausverein organisiert und verwaltet die Angelegenheiten des Wohnprojekts selbstbestimmt. Die Mieter und Mieterinnen werden ausserdem individuell Mitglieder der Wohn(bau)genossenschaft und anerkennen damit die Rahmenstatuten.
Heute zählt die WOGENO Zürich über 5 000 genossenschaftliche Einzelmitglieder. In der Folge wurden in der ganzen Schweiz weitere Wohnbaugenossenschaften für einzelne geografische Regionen nach diesem Prinzip gegründet.
Die Genossenschaft SEWO Bodensee
Die Genossenschaft für selbstbestimmtes Wohnen SEWO Bodensee ist eine gemeinnützige Wohn(bau)genossenschaft nach dem Vorbild der WOGENO. Sie bezweckt, ihren Mitgliedern preiswerten Wohn- und Gewerberaum in selbstverwalteten Alt- und Neubauten zur Verfügung zu stellen. Die SEWO ermöglicht selbstbestimmte, demokratisch organisierte Wohn- und Arbeitsformen. Sie versteht sich als eine Art Dach und logistisches Zentrum für weitgehend autonome, selbstverantwortliche Hausgemeinschaften.
Die SEWO bietet einen dritten Weg zwischen Miete und Eigentum. Sie ist in der Region Bodensee / Thurgau tätig und ist Mitglied im Verband der Wohnbaugenossenschaften Schweiz (www.wbg-schweiz.ch).
Die Hausgemeinschaften (Hausvereine)
Die Hausgemeinschaften sind der Kern gemeinschaftlichen Wohnens und Lebens unter dem Dach der Genossenschaft SEWO Bodensee. SEWO-Mieter verpflichten sich, sich in einem Hausverein zu organisieren und ihr Haus oder ihre Siedlung weitgehend selbst zu verwalten.
Gegenüber der SEWO ist jeder Hausverein verantwortlich für die Einhaltung von Verträgen sowie für die Verwaltung und den Unterhalt der Liegenschaft. Die Hausvereins-Mitglieder leisten Pflichtstunden (20 bis 30 Std./Jahr) für die Gemeinschaft, um dies zu gewährleisten. Über das Budget, anstehenden Unterhalt der Gebäude und Anlagen, das Benützen von Gemeinschaftsräumen, Waschküchen, Garten usw. entscheidet die Bewohnerschaft nach Bedarf in Haussitzungen. Regeln kann sie in Hausordnungen festlegen.
Einer der wichtigen Unterschiede zu traditionellen Wohnbaugenossenschaften: die Auswahl neuer Mieter und Mieterinnen fällt in die Kompetenz der Hausvereine, die Mietverträge werden mit der Genossenschaft abgeschlossen. Neue Mieter leisten ein Pflichtdarlehen in Form von 10 Prozent des Wertes ihrer Wohnung, welches ihnen bei Auszug zurückerstattet wird. Sie sind dadurch sowohl Mieter ihrer Wohnung als auch Miteigentümer der ganzen Liegenschaft. Diese Anteile werden jedoch nicht frei gehandelt, sondern fallen immer an die Genossenschaft zurück, wodurch Spekulationen mit Wohnraum vorgebeugt wird. Die Miete wird nach dem Prinzip der Kostenmiete berechnet.
Das Beispiel einer Hausgemeinschaft
Die grösste selbstverwaltete Hausgemeinschaft der Schweiz ist das Mehrgenerationenhaus Giesserei in Winterthur (www.giesserei-gesewo.ch). In der Giesserei leben und arbeiten seit Anfang 2013 rund 400 Menschen in 150 Wohnungen und diversen Gewerberäumen wie Restaurant, Bibliothek, Musikschule, Veloladen, Töpferei, Galerie, TCM-Praxis, Kita usw. und vielen Gemeinschaftsräumen wie Saal, Pantoffelbar, Werkstätten, Gästezimmern, Jugendraum, Musikkeller usw. Die Giesserei ist ein erfolgreiches Beispiel für das Funktionieren einer selbstverwalteten Gemeinschaft, selbst bei dieser Grösse. Diese Wohnform bewährt sich und scheint immer mehr gefragt zu sein. Davon zeugen eine lange Warteliste von Mietinteressenten und das Fehlen jeglichen Leerstands bei Wohnungen und Gewerberäumen.
Das Pilot-Projekt der SEWO Bodensee
Für das erste Projekt der SEWO bestand bereits ein Projektverein mit etwa 60 Mitgliedern: der Verein GEK (Generationenhaus Kreuzlingen) mit der Zielsetzung, ein Generationenhaus in Kreuzlingen nach dem Vorbild der Giesserei in Winterthur zu bauen, wenn auch in kleineren Dimensionen. Der Verein GEK war ursprünglich als Ausgangsorganisation eines Hausvereins angelegt, dieser ist jedoch wegen Fehlen eines Grundstücks oder einer umnutzbaren Altliegenschaft mit Gründung der SEWO Bodensee aufgelöst worden. Sobald ein konkretes Wohnprojekt mit Liegenschaft existiert, werden Mietinteressierte wieder einen Hausverein unter dem Dach der SEWO gründen.